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Der Skandal Immanuelkirchstraße 35

Milieuschutz versenken geht in Pankow so: 1. Umfassende Baumaßnahmen beantragen –  2. „Bestandsschutz“ für das Haus für aufgehoben erklären – 3. Milieuschutz wegen aufgehobenen Bestandsschutz weil quasi Neubau für nicht einschlägig erklären.
Man war ja beim Stadtentwicklungsamt Pankow unter der Leitung von Bezirksstadtrats Kirchner eine sehr eigentümerfreundliche Genehmigungspraxis in den Milieuschutzgebieten schon gewohnt, erinnert sei an die Gleim 52, die Kopenhagener 46, die Wisbyer 6, die Wins 59 etc.. Aber was jetzt im Fall der Immanuelkirchstraße 35 geschah, ist eine neue Dimension des Übels.

 

Vom Gründerzeithaus zum Neubau

Die Immanuelkirchstraße 35 ist ein großes Gründerzeithaus im Milieuschutzgebiet Winsstraße. Es besteht aus einem Vorderhaus sowie  zwei Seitenflügeln und zwei Quergebäuden auf zwei Hinterhöfen. Die Anzahl der Wohnungen beträgt nach Angaben des Bauamtes 52. Seit vielen Jahren hat sich der Leerstand permanent vergrößert. Derzeit wohnen noch 14 Mietparteien über alle Gebäudeteile verstreut.
Das Haus ist  wegen der seit Jahrzehnten unterlassenen Instandhaltung in einem schlechten Zustand. Zahlreiche Wohnungen haben kein Bad und einige verfügen sogar nur über ein Außen-WC. Allerdings gibt es auch einige komplett modernisierte Wohnungen auf einem zeitgemäßen Ausstattungsniveau, mit modernen Bädern und Gasetagenheizungen.IMG_1207

Nach einem Verkauf des Hauses hatte der neue Eigentümer im Frühjahr 2016 einen Bauantrag über eine umfassende Modernisierung des Hauses gestellt. Der Antrag beinhaltet weitreichende Grundrissänderungen, insbesondere Wohnungszusammenlegungen, die nahezu alle Wohnungen berühren. Ferner sollen in mehreren Gebäudeteilen innenliegende Aufzüge und eine Tiefgarage eingebaut sowie straßenseitig und im 1. und 2. Hinterhof Balkone angebaut werden. Außerdem soll das Dachgeschoss zweigeschossig ausgebaut werden.

Die Bauaufsicht, bei der Antrag eingegangen war, teilte dem Bauherren mit, dass er bei so umfangreichen Eingriffen in die Gebäudesubstanz, die auch sehr viele tragende Wände betreffen würde, auch alle bauordnungsrechtlichen Anforderungen an einen Neubau erfüllen müsse, insbesondere hinsichtlich des Brandschutzes und der Barrierefreiheit. Das war die Antwort, die der Bauherr hören wollte. Mit seinem weitreichenden Grundrissveränderung würde jede Wohnung über zwei bauliche Rettungswege verfügen und über den innenliegenden Aufzug auch barrierefrei erreichbar sein. Nur bei der Größe des Aufzuges wollte man eine Ausnahmegenehmigung haben, weil eine vorschriftsmäßige Größe weitere vermarktungsfähige Wohnfläche und renditeträchtige Wohnungsqualität gekostet hätte.

 

Kein Bestandsschutz – Kein Milieuschutz

Da das Haus im Milieuschutzgebiet liegt, waren die beantragten, die Wohnungsstruktur komplett verändernden Maßnahmen erhaltungsrechtlich natürlich nicht genehmigungsfähig und der Bauantrag insgesamt abzulehnen. Die Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungsstandards, insbesondere der Einbau modernen Dusch- oder Wannenbäder sowie der Anbau von Aufzügen, hätte sicher einige Grundrissveränderung erfordert, wie tausendfach in den Gründerzeithäusern geschehen, aber nicht einen solchen Total-Umbau.

Doch dann geschah das Unfassbare: das Bauamt kam zu dem Schluss, dass angesichts des „Fortfalls des Bestandsschutzes“ die milieuschutzrechtlichen Genehmigungskriterien keine Anwendung finden könnten und erteilte die Genehmigung. Das tat man mit Bedacht vorsorglich erst nach den Berliner Abgeordnetenhauswahlen, weil man „politische Aufregung“ erwartete. Bezirksstadtrat Kirchner war über das Genehmigungsverfahren durch das Amt informiert worden. Ob er die Letztentscheidung getroffen oder gebilligt hat, ist bislang nicht bekannt.

Das Bauamt führte gegenüber den Mietern und anderem zwei Gründe für eine Ausnahme von der Regel an.
Erstens. Die Grundrissänderungen seien zum erstmaligen Einbau eines modernen Bades in 38 Wohnungen erforderlich und deshalb entsprechend der Prüfkriterien zu genehmigen gewesen. Diese Aussage ist nicht glaubwürdig. In aller Regel kann man auch in 1 Zimmer-Wohnungen mit Küche und AußenWC, bei Beseitigung des AWC ein kleines Wannen- oder Dusch-Bad einbauen. Das ist tausendfach im Prenzlauer Berg geschehen.
Denkbar ist auch, dass im Zuge des Badeinbaus ein Teil der Einzimmerwohnungen mit anderen 1-Zimmerwohnungen sinnvoller Weise zusammengelegt werden, um für eine gute Wohnqualität günstigere Grundrisse zu erreichen. Das wäre bei Würdigung aller Umstände eine zulässige Ausnahme.
Im vorliegenden Fall sollen aber offenbar durch die Zusammenlegungen von bis zu drei Wohnungen sehr große Wohneinheiten geschaffen werden. Was nicht den Zwängen eines Badeinbaus geschuldet ist. Vielmehr werden offenbar durch den geplanten Einbau von innenliegenden Aufzügen und großzügigen Bad und Küchenschnitten völlig neue exklusive Wohnungsgrundrisse geplant, denen viele kleine und auch große Wohnungen mit einem teileweise bereits vorhandenen modernen Ausstattungsstandard zum Opfer fallen sollen. Die Grundrissänderungen dienen in erster Linie der Schaffung eines großzügigen, überdurchschnittlichen Ausstattungsstandards. Der „erstmalige Badeinbau“ dient als Legitimationsfloskel. Das ist so offensichtlich, dass es auch Bauamt Pankow gesehen hat.

Als zweiten Grund wird der Wegfall des „Bestandsschutzes“ angegeben, weil der Umbau des Hauses so umfangreich sei, dass aktuelle Bauvorschriften wie für einen Neubau zu beachten seien. Das gelte insbesondere hinsichtlich des Brandschutzes (2. baulicher Rettungsweg) und hinsichtlich der Barrierefreiheit. Auch diese Begründung ist nicht nachvollziehbar, warum wird denn überhaupt dieser beispiellos grundlegende Umbau des Hauses im Milieuschutzgebiet genehmigt? Die Modernisierung von derartigen Bestandshäuser ist im Prenzlauer Berg und anderswo tausendfach in den letzten beiden Jahrzehnter erfolgt, ohne die Wohnungsstruktur völlig zu zerschlagen. Derartige Anträge wurden in den Erhaltungsgebieten bislang nicht genehmigt. Mit weit geringeren Eingriffen ist die Modernisierung eines solchen Hauses möglich. Auch der schlechte Bauzustand ist kein Grund für eine solche Ausnahme. Dieser hat einen höheren Instandhaltungsaufwand zur Folge, erfordert aber nicht Grundrissänderungen und Wohnungszusammenlegungen in diesem Ausmaß. Nur der geplante Ausbau des Dachgeschosses stellt einen Neubau dar und erfordert die Errichtung eines oder mehrerer Aufzüge. Allerdings ist dies tausendfach bei analogen Vorhaben geschehen, sogar sozialverträglich, wenn Aufzüge ausschließlich der Erschließung des Dachgeschosses dienen.

Der Milieuschutz (soziales Erhaltungsgebiet) als städtebauliches Steuerungsinstrument soll es den Gemeinden ermöglichen, die Wohnhäuser und damit den Gebietscharakter aus öffentlichem Interesse vor aufwendigen umfangreichen Eingriffen in die gegebene Gebäude- und Wohnungsstruktur zu schützen. Die Ausnahmen sind auf das absolut erforderliche begrenzt. Das gilt auch dann, wenn das Haus völlig entmietet sein sollte. IMG_0303

Kündigung der Mieter nach Milieuschutz-Genehmigung

Der Hauseigentümer hat unmittelbar nach der Erteilung der Genehmigung gegenüber 10 der verbliebenen Mietern Kündigungen mit Verweis auf diese Genehmigung ausgesprochen. – Die Mieterberatung Prenzlauer Berg hat Ende Januar allen Mietern als Sanierungsbetroffenen geförderte sanierte Wohnungen zu 5,89 €/qm als Endumsetzwohnungen in Aussicht gestellt. Die übliche Verpflichtung des Eigentümers, im Gegenzug dem Bezirksamt gleichwertige Wohnungen im Haus zu diesem Mietpreis nach der Modernisierung zur Belegung zur Verfügung zu stellen, gibt es offenbar nicht.

Fazit: Der Investor kann im Milieuschutzgebiet mit freundlicher Genehmigung des Bezirksamtes die Mieter aus ihren Wohnungen vertreiben. Warum dieser Antrag genehmigt wurde, bedarf des Aufklärung. Andernfalls ist der Vorgang geeignet, das Misstrauen in die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu befördern. Der Milieuschutz wird auf diese Weise für den Bezirk Pankow völlig ad absurdum geführt worden. Milieuschutz – per du!

MN/10.05.17