Pestalozzi 4 – Gesobau vs Mieterrechte

Die kommunale Gesobau kämpft über 7 Jahre (!) in zwei Gerichtsinstanzen die Duldung einer mehr als fragwürdigen Modernisierung durch. Abgesehen vom inakzeptablen Umgang mit den tadellosen Mietern ist der Kollateralschaden immens. Die Gesobau zerschlägt dabei das „Pankower Urteil“ des Amtsgerichts Pankow/Weißensee, das eine der Hoffnung für viele Mieter in Berlin darstellte.

 

Rahmenvertrag

2013 startete die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Gesobau in Pankow in einer Reihe von Wohnhäusern eine Modernisierungskampagne, bei der es vor allem um energetische Sanierungen ging. Deren Sinn und Nutzen war aber von Beginn an von vielen Mietern bestritten worden. Die Mieter sahen sich in der Ankündigung mit horrenden Modernisierungsumlagen konfrontiert. Nach und nach schlossen sich die Mieter aus 9 Gesobau-Häusern zum „Pankower Mieterprotest“ zusammen. Die Mieter forderten Landes- und Bezirkspolitiker auf einzugreifen, um eine sozialverträgliche Durchführung der Modernisierungen durch die landeseigene Gesobau zu sichern. Infolge der Proteste forderte die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow die Gesobau auf, ihr Vorgehen grundlegend zu ändern und beauftragte das Bezirksamt mit der Gesobau eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung über eine sozialverträgliche Durchführung der Vorhaben unter Einbeziehung einer unabhängigen Mieterberatung abzuschließen. Ein solcher Rahmen-Vertrag wurde nach zähem Ringen unter Mitwirkung von Bezirksverordneten und dem damaligen Bezirksstadtrat Kirchner tatsächlich Anfang 2014 abgeschlossen. Zum Pilothaus bei dem dieser Vertrag erstmals praktisch umgesetzt werden sollte, wurde die Pestalozzistr. 4 bestimmt.

 

Pilothaus – Pestalozzi 4

Obgleich die Gesobau im Einzelfall mit Mietern vorteilhafte Modernisierungsvereinbarungen abschloss, deren Konditionen auch über das seinerzeit gültige Mietenbündnis zwischen Senat und den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zugunsten der Mieter hinausgingen, endete das Pilotverfahren zur Umsetzung der Rahmenvereinbarung zwischen dem Bezirk Pankow und der Gesobau sehr unbefriedigend. Einige Mieter ergriffen die Flucht, andere sahen sich auf Grund des ultimativen Drucks der Gesobau genötigt, die angebotenen Modernisierungsvereinbarungen zu unterschreiben, obgleich sie einige der angekündigten Maßnahmen insbesondere die Fassadendämmung und die Beseitigung der Holzkastendoppelfenster ablehnten. Die Gesobau macht klar, dass ihr entgegenkommen in einer Reihe von Punkten an die Zustimmung zu allen Maßnahmen gebunden sei. Einige Mieter konnten das Risiko, am Ende ohne eine bezahlbaren Wohnung dazustehen, ihren Familien nicht zumuten. Schließlich brach die Gesobau die Verhandlungen mit den letzten widerständigen Mietern ab und verklagte vier Mietparteien auf Duldung. Alle Forderungen aus dem politischen Raum einzulenken und auf den Verhandlungsweg für eine gütliche Lösung zurückzukehren, ignorierte die Gesobau. Ihr war offensichtlich aus strategischen Überlegungen die Durchsetzung der umstrittenen Maßnahmen wichtiger als eine gütliche Verständigung mit ihren Mietern.

 

Das „Pankower Urteil“

Zu den Verklagten gehörte auch die Familien Hahn. Sie erstritte im Januar 2015 vor dem Amtsgericht Pankow/Weißensee jenes Urteil, dass als „Pankower Urteil“ in der ganzen Stadt für Aufsehen sorgte. Das Gericht wies das Duldungsverlangen der Gesobau in bestimmten Teilen zurück, so der Ersetzung des Gasherdes durch einen E-Herd, die Fassadendämmung und die Ersetzung der Holzkastendoppelfenster. Zur Fassadendämmung und den Fenstern begründete das Gericht seine Abweisung des Duldungsverlangen der Gesobau damit, dass diese für den Mieter „unwirtschaftlich“ seien und der Mieter für ihn wirtschaftlich nachteilige Maßnahmen nicht dulden müsse. Die Höhe der Modernisierungsumlage und damit die dauerhafte Mietsteigerung seien auch auf längere Sicht bei weitem höher als die Einsparung der Heizkosten. Dies sei selbst dann so, wenn die Energiekosten erheblich steigen würden.

Der Hauseigentümer kann gem. § 25 Abs. 1 der Energieeinsparverordnung (EnEV) eine Ausnahme von der Dämmpflicht beantragen kann, wenn die Kosten der Maßnahme auch auf längere Sicht in keinem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis zu den daraus resultierenden Einsparungen bei den Heizenergiekosten stehen. Dieses Prinzip der Wirtschaftlichkeit müsse analog auch für die Mieter gelten, wenn der Vermieter die Kosten der energetischen Sanierung auf sie umlegt. Es geht dabei nicht um den Einwand der „soziale Härte“, bei der die Modernisierungsumlage ins Verhältnis zum individuellen Einkommen des Mieterhaushaltes gesetzt wird, sondern um das Verhältnis von Kosten der Maßnahme zu den eingesparten Energiekosten.

Klima ohne Mieter

Auf dem 2.Mieterforum „Prima Klima ohne Mieter“ im April 2015, auf dem auch Anke Hahn für die Mieter der Pestalozzistraße 4 auftrat, war schon sehr deutlich herausgearbeitet worden, dass hinter der „Unwirtschaftlichkeit“ dieser Dämmmaßnahmen in einer sach- und realitätsbezogenen Betrachtung auch erhebliche Defizite in der Klimabilanz (CO2-Einsparung) hervortreten. Deshalb knüpften sich an dieser Pankower Urteil auch große Erwartung an einer Umkehr hinzu einer sozial- und klimaverträglichen Modernisierungspolitik bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, letztlich mit einer Ausstrahlung auf alle Vermieter. Und auf den 3. Mieterform 2016 stellten die Mieter der Pestalozzistraße 4 erneut ihre Situation dar. Siehe hier Teil 1 und Teil 2.

 

Gesobau – regressiv & unökologisch

Doch die kommunale Gesobau wollte dieses sozial und klimapolitisch innovative Urteil des Amtsgericht Pankow/Weißensee nicht akzeptieren und ging in Berufung. Dabei wäre doch von einer landeseigene Wohnungsbaugesellschaft zu erwarten gewesen, dass man spätesten jetzt den Dialog mit den Mietern sucht. Diese hatten den Vorschlag eines Praxistests unterbreitet. Denn in der Pestalozzistraße 4 bot sich die Chance, bei zwei baugleichen Gebäudeteilen den Energieverbrauch eines energetisch sanierten und eines unsanierten Aufgangs über drei Heizperiode zu vergleichen. Das hat die Gesobau abgelehnt. Vermutlich weil sie wusste, wie dieser Test ausgehen würde. Die Energieverbrauchszahlen unterscheiden sich nur geringfügig. Die von der Gesobau behaupteten Einsparungen treten in der Realität nicht ein. Das liegt nicht am unvernünftigen Verbrauchsverhalten von „einfältigen Mietern“, wie die Gesobau u.a. gerne diese Tatsache erklären. Vielmehr basieren die in der Modernisierungsankündigung prognostizierten Einsparungen nicht auf empirischen Erkenntnissen, sondern auf pauschalisierenden Rechenmodellen, in denen die wirkliche Welt mit Wind, Sonne, Verschattung, Umgebungswärme und der tatsächlichen Gebäudestruktur und der Bauwerkssubstanz nicht vorkommt.

 

Dass sich ausgerechnet die landeseigene Gesobau auf den Weg machte, eine mieterfreundliche Rechtsprechung in Sachen energetischer Sanierung wieder zu kippen, kann mit guten Gründen als wohnungs- und mietenpolitisches Versagen des Eigentümers Berlin bezeichnet werden.

Zum für die Mieter enttäuschenden Urteil des Landgerichts Berlin vom 24.03.2020 im Berufungsverfahren gegen das „Pankower Urteil“ lest ihr Genaueres im folgenden Beitrag.